„Hotel Dellbrück“ zeichnet einfühlsam die Geschichte einer Familie über zwei Generationen nach. Vater Sigmund Rosenbaum muss 1938 mit 15 Jahren aus seiner westfälischen Heimat fort, weil er Jude ist. Dank der Kindertransporte überlebt er den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust in England. Der Leser erlebt Sigmunds Ängste in England, seine Suche nach einer inneren Heimat, seinen Wunsch geliebt zu werden. Das schildert Göring in einer sehr schönen Sprache, die nie sentimental wird, die den Leser aber tief eindringen lässt in die Innenwelt dieses jungen Emigranten.
1955 ist Sigmund zurück in Westfalen, verheiratet, und Friedemann, genannt Frido, kommt auf die Welt. Mit Frido führt der Autor den Leser in die Welt der 70er und 80er Jahre. Auch Frido emigriert, gelangt nach Poona und schließlich nach Australien. Wie Göring den Leser hier an die Hand nimmt, ihn zu charismatischen Orten führt wie Poona, Agra oder auch Lourdes, Orte, die Fridos Suche nach einer inneren Heimat reflektieren, ist eine große Reise, eine Reise, die den Leser zu sich führt, zum Nachdenken über Identität, über Heimat, über das, was wirklich zählt. 2018 ist Frido 63 und steht vor dem Hotel Dellbrück, dem Ort, an dem sein Vater einst geboren wurde. Diese Reise an den Ursprung wird für ihn zum Sprung in ein neues Leben.
Görings vierter Roman packt wichtige Themen an, ohne den Leser zu überfordern. Die wunderbar klare Sprache, die Spannung, die die beiden Lebensgeschichten von Sigmund und Frido erzielen, machen den Roman zu einem Erlebnis.
Ein Erlebnis ist es auch, den Autor als Leser zu erleben, ein Metier, das er perfekt beherrscht.
Foto: © Roman Pawlowski